Alleinstehende haben es in Restaurants oft schwer. Häufig werden sie am Katzentisch platziert und dazu noch schlecht bedient. Das ist in Brüssel, dem Paradies für Liebhaber origineller Kost, anders. Von Florian Eder
Die Spezies nähert sich
ihren Futterplätzen kurz vor halb neun, Minuten vor Ladenschluss. Gut zu
beobachten ist sie in den Supermärkten des Brüsseler Europaviertels.
Ihre Vertreter packen dann ein Sandwich zu Chips und einer Dose
Jupiler-Bier in die Tüte.
Sie sind oft
Dienstreisende, denen ein eigener Herd gerade nicht zur Verfügung steht,
und sie werden ihre karge Beute wohl gleich vor dem Fernseher ins
Hotelbett krümeln.
Auch an der
Frittenbude sind sie manchmal zu sehen, getrieben von Bequemlichkeit und
Reiseführern. Die hafteten diesen Kiosken einmal das Klischee der
unverfälschten Ursprünglichkeit an, als hätten die Belgier keine Küche
und als schmeckten Pommes hier so viel besser als anderswo. Es hält sich
wie Fritteusendampf im Wollpullover.
Ein Paradies für einsame Menschen
Den
Kostverächtern entgeht etwas in dieser Stadt, deren Gastronomie
überdurchschnittlich gut ist. Das gilt nicht nur für Qualität, über die
das meiste schon geschrieben ist, und das Verhältnis zwischen Preis und
Leistung, das wenig gewürdigt wird. Es gilt auch und vor allem für den
aufmerksamen Service.
Brüssel ist ein
Paradies für Liebhaber ordentlicher, aber origineller Kost, und für
einsame Menschen ganz besonders. Das wissen viele Besucher, das wissen
auch Pendler, die als wahres Zuhause Köln oder Aachen, Berlin, Paris oder London betrachten, wo ihre Familien leben.
Den Inhalt ihres Brüsseler
Kühlschranks bekommen sie kaum vor Ablauf der Haltbarkeit leer, drum
betreiben sie gar nicht erst eine richtige Vorratshaltung und gehen halt
abends auch einmal ohne Gesellschaft ins Lokal. In kaum einer Großstadt
trifft man auf mehr Allein-Esser. In kaum einer Großstadt isst man
allein besser als hier. Das ist natürlich auch für alleinreisende
Brüssel-Besucher gut zu wissen.
Singles brauchen flotten Service ohne Hetze
Vielen Brüsseler
Gastronomen scheint es wohl einleuchtend, dass Menschen auch allein
speisen und sich nicht nur sättigen wollen. Die Menükarte kommt schnell,
der Küchen- oder der Restaurantchef schaut gern auch mal persönlich
vorbei, der einsame Genießer soll sich schließlich unterhalten fühlen.
Für eine Tischgesellschaft kann ein Restaurant die Pause zwischen den
Gängen schon mal ein wenig dehnen, denn die hat Konversation zu treiben
oder einen Anlass zu feiern. Der Einzelne braucht den flotten Takt, um
sich nicht verloren vorzukommen. Gehetzt werden will er aber auch nicht.
Die Grenze vom
raschen Service zu vorschnellem Abräumen ist schnell überschritten.
Aufmerksamkeit ist es, die ein Kellner braucht, um Drängeln zu
vermeiden, aber auch, um den Single-Gast nicht zu lange warten zu
lassen. Also wissen die Kellner, und also weiß auch die Küche, wann der
Einzelne besser dazwischengeschoben wird, statt erst nach dem
Sechsertisch dranzukommen.
Was Brüssel von Deutschland unterscheidet
Es fängt aber
schon bei der Platzierung an: Niemand will am Katzentisch sitzen. Doch
Kellner sind vielerorts geneigt, den Einzelgast spüren zu lassen, dass
er zwar einen Tisch für zwei belegt, aber nur Umsatz für einen Esser
macht.
Das gilt gerade
für Deutschland: Aushilfen und Angelernte exerzieren den Anstand oft
sehr mühsam – sie wissen zwar, wo die Gabel und wo das Messer zu liegen
haben, aber das feine Gespür für die Bedürfnisse des Gastes, das haben
sie meist nicht.
An genau diesem
unaufmerksamen Service liegt es, dass sich so viele Menschen unwohl
fühlen, wenn sie schutzlos ein Lokal besuchen, und einsam, wenn sie doch
bloß allein sind. Wie ungastlich, wie herzlos, wie unprofessionell, wie
dumm, dieser kühle Umgang mit dem Gast.
In Brüssel ist
das anders, zum Glück. Dort kümmert man sich mit Leidenschaft um den
Einzelnen. Der ist dann entspannt (zumal er keinen Kellner
zusammenfalten muss). Klamm ist er selten. Ist er zufrieden, kommt er
wieder. Trinkgeld lässt er im Durchschnitt auch mehr liegen. Also bemüht
man sich um ihn. Und das ist schon alles, was er schätzt.